Der Giebel mit Girlanden und Rosetten. Der Giebel mit den Bienenkörben.
Der Giebel mit dem Lehmwerk. Sieben klassische Häuseransichten – und was sie uns erzählen, über die Menschen, über die Heimat, über arm und reich. Eine bayerische Giebel-Fibel.

© Heidi Schmidt

© Heidi Schmidt

Es gibt ihn spitz und flach, verziert oder ganz einfach – der Giebel ist oft die Vorzeigeseite eines Hauses. Wie oft schauen wir auf so einen Giebel und denken: Der ist aber prächtig oder einfach und schön oder eigentümlich. Gerade die Giebel sind es ja, die ganzen Orten oder Landschaften etwas Charakteristisches geben.

„Entscheidend für die Entwicklung von Hauslandschaften und Giebelformen sind ganz grundsätzlich die Baumaterialien, die in einer Region reichlich vorkommen, die klimatischen Bedingungen und die Lebens­ form und Tätigkeit der Menschen. Freilich spielen Moden und technische Möglich­ keiten auch eine Rolle“, sagt Prof. Dr. Egon Johannes Greipl, Generalkonservator vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Er ist Experte in Sachen traditioneller Haus­ bau in Bayern. Er weiß, dass sich die heute als ursprünglich geltenden Haus­ und Gie­ belformen über Jahrhunderte entwickelt haben. Dabei wurden Erfahrungen weiter­ gegeben und Bekanntes immer wieder nachgebaut, auch wenn der ursprüngliche Grund manchmal gar nicht mehr gegeben war. Giebel­ und Hausformen sind eng ver­ wachsen mit Mensch und Land und prägen unser Bayern genauso wie saftige Wiesen, dichte Wälder, mittelalterliche Städtchen und der weiß­blaue Himmel.

Dominieren im Süden die Blockbauweise – liegende Hölzer aufeinandergeschichtet – und das flache Dach, überwiegt im Norden das Fachwerk. Das liegt an den Baumateria­ lien, die einst zur Verfügung standen. In Altbayern gab es mehr Nadelholz. Das wächst relativ gerade, bietet sich für den Blockbau an. Außerdem gab es weniger Ackerbau, also weniger Stroh, da deckte man sein Haus mit Schindeln.

In Franken gab es mehr Laubholz, das wächst gebogener. Deshalb hat sich dort das Fachwerk durchgesetzt, bei dem die Krümmung des Holzes mit Zwischenmateri­ alien ausgeglichen werden kann. Weil mehr Ackerbau betrieben wurde, gab es auch genug Stroh für die Dächer. Das wiederum verlangt eine steile Neigung, damit der Re­gen rasch ablaufen kann.

Warum sind die Giebel so spitz?

So mancher Baustil breitete sich aus in die nächste Region, oft aber waren natürliche Grenzen wie Flüsse auch die Grenze der Bauweise. Im Süden Schwabens genauso wie in Oberbayern waren die langgezogenen Giebel mit den flachen Dächern beliebt, im Norden sind sie aber so spitz wie in Fran­ ken. In der Oberpfalz verbreitete sich wie in Niederbayern das Waldlerhaus mit hohem Holzanteil, Schrot (schmaler Balkon) und Flachdach, weiter nördlich das Steinhaus in Massivbauweise. Innerhalb dieser groben Einteilungen haben sich zudem detailrei­ che Unterschiede herausgebildet, etwa in der Ausführung des Fachwerks und den Zierformen.

Wie spezifische Materialvorkommen einer Region die Gestalt eines Giebels be­ stimmen können, zeigt sich am Beispiel Oberfranken. In der Kronacher Ecke wurde schon immer Schiefer abgebaut, mit dem man auch die Häuser verkleidete. Oder im Altmühltal, wo die Kalkplatten zur Ausprä­ gung des flachen Daches der Jurahäuser geführt haben.

Was ist schlau – und was ist schön?

Es war aber nicht allein das Material, das über die Jahrhunderte die Giebelformen beeinflusste, sondern natürlich auch die Funktion des Hauses. In Mittelfranken etwa bildete sich der mehrgeschossige Giebel aus, weil der Hopfen gut unter dem Dach trocknen konnte. In Altbayern baute man überdachte und verschalte Schrote als zu­ sätzlichen geschützten Lagerplatz.

Mancherorts wurden diese Erfahrungen im Hausbau von Generation zu Generation bis heute weitergegeben, wie z. B. in Ober­ bayern. In anderen, oft ärmeren Gegenden hat man mit der traditionellen Bauweise gebrochen, davon ist nur noch wenig übrig, wie etwa hier und da in der Oberpfalz.

Trotzdem gilt für alle Regionen: Der Giebel ursprünglicher Bauernhäuser ist gebaute Erfahrung und ein eindrucksvoller Nachweis für Kultur und Reichtum eines Landstrichs. Aber immer zeigt der Giebel auch die Ehrfurcht vor Naturgewalten wie Sturm und Regen.

NIEDERBAYERN: Eisennägel waren Luxus

Das Waldlerhaus ist die traditionsreichste Hausform im bayerischen Wald, wenngleich es kein einheitlicher Typ ist. Die Grundelemente des Giebels haben seit der späten Besiedelung im 6. Jahrhundert überdauert und sind wahrscheinlich einst vom benachbarten Oberbayern herübergekommen. Mit ihrer praktischen Ausrichtung wollte man den harten Daseinsbedingungen trotzen: das flache, ursprünglich mit Schindeln gedeckte Dach, das viel Schnee aushält und an den Seiten etwas übersteht, um den Bau vor dem Wetter zu schützen, und der Giebelschrot, ein schmaler Balkon, auf dem sich geschützt Dinge lagern lassen. Die Verzierungen sind im Vergleich zu Oberbayern wesentlich zurückhaltender, waren die Bauern hier doch schon immer ärmer, es reichte aber für einfache Schnitzereien und simple Bemalungen der tragenden Balken. Gerade für den Bayerischen Wald gilt: Es wird verwendet, was da ist, in diesem Fall Nadelholz in Blockbau- weise, vor allem Fichte, Föhre und Tanne. Übrigens: Die ursprüngliche Dachdeckung mit Holzschindeln war meist nur lose aufgelegt und mit steinen beschwert, denn die Bauern konnten sich Eisennägel oft nicht leisten. Außerdem mussten die Schindeln, damit sie gleichmäßig abnutzten, alle vier bis fünf Jahre gewendet werden.

OBERFRANKEN: Girlanden und Rosetten

Frankenwaldhaus nennt sich in der Kronacher Ecke ein mit schiefer verkleidetes Haus, und genauso wie mit dem Wald assoziieren die Franken damit vor allem eines: dunkel. Für Aufhellung sorgen die helle Fensterrahmung und die silbrig glänzenden Verzierungen. Das sind hauchdünne stanniolblättchen, die mit Leinöl auf den Schiefer geklebt sind. Typischerweise zeigen sie pompöse Architekturelemente wie Säulen, aber auch filigrane Girlanden, Rosetten, Blumen und Tiere. So verziert, sind die dunklen Häuser schön anzuschauen. Ausschlaggebend für die Schieferverkleidung im Frankenwald war dessen Abbau in den oberfränkischen Landkreisen Ludwigsstadt und Nordhalben. Die Bauherren zierten damit ihr Haus aber nicht nur, sondern schützten gleichzeitig den darunterliegenden Holzbau vor widrigen Wettereinflüssen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden dafür vorwiegend Schieferplatten verwendet, die mithilfe von Schablonen zugeschnitten werden. Diese waren ein großer Schritt nach vorn, zuvor verarbeitete man sie mit der Hand grob zu verschieden großen Stücken.

OBERBAYERN: Zierformen bis unters Dach

Die oberbayerischen Bauernhöfe sind eindrucksvolle Zeugnisse einer über Jahrhunderte entwickelten Baukultur. Wie der Bug eines Schiffes stellt sich der meist nach osten ausgerichtete Giebel gegen das Wetter. Mit dem überstehenden Dach ist dem Hauptbau ausreichend Schutz vor Regen, Schnee und auch Sonne gewährt. Zudem sorgt es dafür, dass das Regenwasser in ausreichendem Abstand zu Boden geht. Laube – der Balkon unterm Dach – und Schrot bieten genug geschützten Raum zum Bettenlüften, Wäschetrocknen und Lagern, beispielsweise von Bienenkörben und Ersatzschindeln. Im Vergleich zu ärmeren Gegenden zeugen vor allem die Häuser in der Region Miesbach und Bad Tölz von viel Reichtum und von der Lust am Repräsentieren: aufwendige Rocaille-Schmuckformen der Zimmermeister sowie Zierbretter am Dachabschluss. Grund für diesen Reichtum war die einträgliche Viehwirtschaft. Übrigens, der hier gezeigte Hof galt schon 1843 als ein Paradebeispiel für die Pracht in der Region, abgebildet in der „Allgemeinen Bauzeitung“.

SCHWABEN:Mit Küchenabzug

Klassisches Verbreitungsgebiet des bundwerkgiebels ist eigentlich das östliche Oberbayern, und dort kommt dieser Stil vor allem an Scheunen vor. Dagegen gibt es diese Giebel in Schwaben, östlich vom Lech, sehr oft an Wohnhäusern. Früher waren es vor allem natürliche Grenzen wie Flussläufe, die für die Ausbreitung eines Stils verantwortlich waren. Und so strahlte die Baukunst aus dem Osten sozusagen nur bis hierher aus. Hinter einem Bundwerkgiebel – immer unter einem sehr ach geneigten Dach – war traditionell ein leerer speicher, über den bis ins 18. Jahrhundert der Rauch aus der küche abzog. Die zu Gitter- oder Kreuzform verbundenen Hölzer sind meist über massiven Steinbauten zu sehen, die östlich des Lechs schon vor dem Brandversicherungszwang von 1811 zu nden waren. Zum einen, weil die ursprünglichen Holzschwellen immer wieder abfaulten, zum anderen, weil die Steinhäuser rund um das Kloster Steingaden Vorbildcharakter hatten.

MITTELFRANKEN: Himmelhohe Schatzkammer

Ganze fünf Geschosse hat der größte noch erhaltene Giebel in der fränkischen Hopfenregion Spalt. Lange Zeit war hier das Hopfenanbaugebiet Nummer eins. Hintergrund der massigen Giebel war natürlich nicht der himmelwärts strebende bausinn der Franken, sondern ganz praktisch der Hopfen: Unter dem hoch aufragenden Dach wurde er getrocknet, auf blank geputzten Holzböden oder auf Horden beziehungsweise Reuter, einfachen Rahmen mit Holzge echten; das sparte Platz. Der Boden, wie der Speicher in Franken auch genannt wird, war dank der seitlich angebrachten Gauben, fenster und tore gut durchlüftet. Aber es war auch aufwendig: Der am Boden trocknende Hopfen musste immer wieder mit Schaufel und Rechen gewendet werden. Als dann die holzbefeuerten Hopfendarren aufkamen, entwickelten sich diese
zu frei stehenden Einzelgebäuden, und das vor allem in der Hallertau. Das Modell war auf Dauer wirtschaftlicher, sodass nicht nur das mittelfränkische Hopfenhaus über üssig, sondern auch die Hallertau zum neuen Hopfenanbaugebiet Nummer eins wurde. Zum Glück haben sich trotzdem noch ein paar alte Hopfenhäuser erhalten, an denen diese einzigartige Baukunst zu bewundern ist.

OBERPFALZ: Wächter gegen den Wind

Häusl werden die kleinen Waldlerhäuser im Bayerischen Wald auch genannt. Der Unterschied zwischen unserem niederbayerischen und Oberpfälzer Beispiel zeigt, dass es das einheitliche Waldlerhaus nicht gibt. Sie sind nicht immer nur aus Holz, sondern haben oft ein gemauertes Erdgeschoss. Dafür ausschlaggebend waren nicht nur Bemühungen im 16. Jahrhundert, den Holzverbrauch einzuschränken, sondern auch die schon erwähnte brandschutzbestimmung. Das Dach ist bereits etwas spitzer und der Ein uss aus dem benachbarten Franken spürbar. Eine Besonderheit ist die sehr einfache Zierform im Giebeldreieck: Die Balken sind in der Neigung des Daches schräg gestellt. Das war nicht immer so schön anzusehen, sondern eine Zeit lang hinter verputzten Haselnussbrettern versteckt – zum Schutz vor Wind und Wetter. Das schön verzierte Windbrett am Dachabschluss hat natürlich nicht nur eine schmückende, sondern auch eine praktische Funktion: Es soll verhindern, dass der Wind unter die Dachdeckung pfeift und sie davonträgt. Die Zierformen halten sich ansonsten zurück und sind immer funktionsgebunden, so auch bei den wunderbaren Schnitzereien an den Säulen des Schrots.

UNTERFRANKEN: Ganz oben ein Türchen für Tauben

Der Norden Bayerns ist traditionell von fachwerkgiebeln geprägt. Weil zum Hausbau vor allem Laubholz zur Verfügung stand, blieb den Bauherren gar nichts anderes übrig, als in Fachwerkbauweise zu fertigen: Laubbäume wachsen krumm, und die Hölzer können nicht wie beim Blockbau dicht nebeneinandergelegt werden. Die Zwischenräume zwischen den Streben sind entweder mit Lehmwerk, Bruch- oder Ziegelsteinen gefüllt. Trotz des krummen Baumwuchses achteten die Bauern aber immer auf eine gewisse Symmetrie der Streben. Um sie vor dem Wetter zu schützen, waren und sind sie nicht unbehandelt, sondern bemalt – und zwar farbig, schließlich wollte man ein wenig Zierde am Haus. Im Spessart stehen die Ständergeschossbauten zudem auf einem Sockel aus Buntsandstein. Dessen rötliche farbgebung ist typisch für die Region. Grund für die sogenannte Aufsockelung ist das unebene Gelände, das mithilfe des Mauerwerks ausgeglichen wird. Typisch für die Region sind außerdem die schmale Giebelseite, das spitze Dach und die ausrichtung des Giebels zum öffentlichen Raum hin, in diesem Fall zur Straße. Eine kleine Besonderheit ist der Taubenschlag unterm Dach, bei unserem Bildbeispiel an dem kleinen fenster unterm krüppelwalmdach zu erkennen.

(erschienen in Servus Bayern 8/2013)